Aufbleiben, um den Blues zu besiegen

Forscher wissen seit vielen Jahren, dass Schlafentzug Depressionen vorübergehend lindern kann. Aber konnten sie dieses Wissen jemals in die Praxis umsetzen? Sie haben vielleicht einen Weg gefunden.

Aufbleiben, um den Blues zu besiegen

Kann Schlafentzug Depressionen vorübergehend lindern?

Von Sarah Yang Aus dem Arztarchiv

8. Mai 2000 -- Fast 30 Jahre sind vergangen, seit Dr. med. Anna Wirz-Justice einer schwer depressiven 80-jährigen Frau erstmals eine Nacht ohne Schlaf verordnete. "Sie saß den ganzen Tag nur herum und war selbstmordgefährdet", sagt die Schweizer Neurobiologin. "Sie hat kaum gesprochen oder sich bewegt.

Das Mittel wirkte.

Am nächsten Morgen "sprach und bewegte sich die ältere Frau, als wäre sie ein anderer Mensch", sagt Wirz-Justice. "Sie erzählte mir, dass sie sich um zwei oder drei Uhr morgens fühlte, als wäre eine schwarze Wolke von ihren Schultern genommen worden.

War Wirz-Justice an etwas dran? Sie und andere Forscher dachten das - zunächst. Es ist unbestritten, dass Schlafentzug Depressionen vorübergehend mildert. Laut einem Übersichtsartikel δ in der Januar-Ausgabe 1990 des American Journal of Psychiatry zeigen bis zu 60 % der depressiven Menschen eine 30 %ige Verbesserung nach nur einer wachen Nacht. Menschen, die sich morgens am deprimiertesten fühlen und denen es später am Tag besser geht, scheinen am meisten von einer Nacht ohne Schlaf zu profitieren.

Es gab jedoch ein Problem: Die Patienten neigten dazu, in die Depression zurückzufallen, sobald sie eine gute Nachtruhe hatten. Außerdem kann gewohnheitsmäßiger Schlafentzug mit langfristigen Gesundheitsproblemen wie Bluthochdruck und Diabetes in Verbindung gebracht werden. Die Herausforderung bestand also darin, einen Weg zu finden, Depressionen zu lindern, indem man an den Schlaf-Wach-Zyklen herumdoktert.

Die Macht der Hormone anzapfen

Heute experimentieren Forscher mit Möglichkeiten, die biologische Uhr des Körpers - den zirkadianen oder 24-Stunden-Rhythmus - zu nutzen, ohne von den Patienten zu verlangen, dass sie ganz auf Ruhe verzichten. Die Lösung könnte darin liegen, den Schlaf so zu timen, dass er von bestimmten Hormonen profitiert, die im Laufe des Tages ab- und ansteigen.

Das schilddrüsenstimulierende Hormon (TSH) beispielsweise steuert unseren Stoffwechsel und damit indirekt auch unser Energieniveau. Schätzungsweise 25 bis 35 % der depressiven Patienten haben einen niedrigen TSH-Spiegel. In den letzten Jahren haben Forscher des National Institute of Mental Health herausgefunden, dass Schlaf die Freisetzung von TSH hemmt, während Wachsein in der Nacht und in den frühen Morgenstunden die Freisetzung erhöht.

Einige Forscher versuchen, die hormonellen Gezeiten des Körpers zu manipulieren, indem sie Patienten etwa eine Woche lang bis in die frühen Morgenstunden wach bleiben lassen. Ärzte der Universitätsklinik Freiburg in Deutschland haben dieses Experiment mit einer Gruppe depressiver Patienten durchgeführt, die sich nach einer Nacht ohne Schlaf besser fühlten: Sie forderten die Patienten auf, an diesem Abend um 17 Uhr schlafen zu gehen und in der nächsten Nacht bis Mitternacht zu ruhen - insgesamt 31 Stunden. Dann kehrten die Patienten im Laufe der Woche allmählich zu einem normalen Schlafzyklus zurück. In einer Nacht schliefen sie von 18 Uhr bis 2 Uhr morgens, in der folgenden Nacht von 19 Uhr bis 3 Uhr morgens, bis sie schließlich zu einem Schlafzyklus von 23 Uhr bis 6 Uhr morgens zurückkehrten. Bemerkenswerterweise erlitt die Mehrheit - 75 % - keinen Rückfall in die Depression, so die Ergebnisse, die letzten Herbst in den European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience veröffentlicht wurden.

Aber ist es auch praktisch?

Zugegeben, ein solches Programm ist schwer zu befolgen. Patienten sollten solche Schlafmanipulationen wahrscheinlich nur unter Aufsicht und vielleicht in einer Gruppe ausprobieren, um die Erfahrung angenehmer zu gestalten, sagt Dr. Edward DeMet, der Schlafentzug am Veterans Affairs Medical Center in Long Beach untersucht. "Wenn man am nächsten Tag noch Auto fahren muss, sollte man das natürlich nicht tun", sagt er.

Es gibt noch andere Möglichkeiten, den Schlaf zu manipulieren, um depressive Symptome zu verbessern. So scheinen Patienten, die eine Nacht ohne Schlaf verbringen und am Morgen hellem Licht ausgesetzt werden, die emotionalen Vorteile dieser schlaflosen Nacht zu verlängern. Laut einer Studie von Wirz-Justice und Kollegen δ, die in der Augustausgabe 1999 der Zeitschrift Biological Psychiatry veröffentlicht wurde, ist die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls bei Menschen, die während der Einnahme von Antidepressiva Schlafentzug betreiben, ebenfalls geringer.

Da die Wirkung von Antidepressiva wie Prozac oder Lithium oft erst nach Wochen einsetzt, kann Schlafentzug als vorübergehendes Hilfsmittel nützlich sein, das den Betroffenen einen Auftrieb gibt, bevor die Medikamente ihre Wirkung entfalten.

"Es ist viel einfacher, morgens eine Pille zu schlucken, als die ganze Nacht aufzubleiben", sagt Wirz-Justice, Professorin am Labor für Chronobiologie und Schlaf der Psychiatrischen Universitätsklinik in Basel, Schweiz. "Aber Schlafentzug ist sehr billig und geht sehr schnell. Für Patienten, die schwer depressiv sind, zeigt ihnen die Erfahrung dieses einen Tages, dass es möglich ist, gesund zu werden. Sie haben endlich wieder Hoffnung."

Sarah Yang ist Reporterin in San Francisco für doctor.

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